Donnerstag, 1. September 2016

Wenn das Weinverständnis plötzlich nicht mehr mag


Persönliche Gedanken über Informationen und tatsächliche Wahrnehmungen


Als Weinverkoster wird man von seinen Mitmenschen oftmals beneidet. Nun ja, unbestreitbar, es ist ein sehr schöner Beruf, denn immerhin ist es dir als Weinverkoster gegönnt die Vielfalt der Weinwelt kennen zu lernen. Diese Vielfalt sorgt nicht nur für abwechslungsreiche Verkostungen, sie verlangt oftmals auch ganz schön viel Weinverständnis. Ja, manche Weine wollen verstanden werden oder noch besser, sie müssen verstanden werden, um ihnen entsprechend begegnen zu können.


Ich weiß, das alles klingt ziemlich geschwollen, entspricht aber den Tatsachen, denn so manche Interpretation, was zum Beispiel einen unverfälschten Wein mit klassischer Stilistik ausmacht, schreit förmlich nach Weinverständnis.


Keine typischen Merkmale → kein Weinverständnis 

Manchmal ist dieses Weinverständnis zwar vorhanden, aber mag einfach nicht mehr, weil es sich um eine Interpretation handelt, die schlicht und einfach inakzeptabel ist. Super, was machst du jetzt?

Da steht ein Präsentator, der dich erwartungsvoll ansieht und mit Sicherheit auch noch mit deinem Lob für diesen geilen, sortentypischen Wein spekuliert.

Im Glas befindet sich ein Grüner Veltliner Klassik, der leider wie ein Sauvignon Blanc riecht und schmeckt und noch dazu mit Eiszuckerl Aromatik aufwartet. Auch wenn mir bekannt ist wie diese Stilistik zustande kommt, mein Weinverständnis blockt bei dieser Art der Interpretation einfach ab. Wenn dann auf meine Frage, weshalb der Wein auf diese Art ausgebaut wird, auch noch die Antwort folgt, "weil’s viele Kunden so mögen", fällt mir unweigerlich ein alt bekanntes Sprichwort ein, "Geschmäcker und Ohrfeigen sind verschieden".


Was drauf steht sollte auch drin sein

Zum Glück sind unsere Geschmäcker verschieden, so findet jede Geschmacksrichtung ihre Fan Gemeinde. Trotz dieser Tatsache gibt es doch so etwas wie Grundregeln, quasi die ungeschriebenen Gesetzte. Es kann doch nicht so schwierig sein, einen Hinweis auf einem Etikett so zu gestalten, dass dieser dem Inhalt auch gerecht wird, oder doch?


Informationen und Tatsachen ohne Übereinstimmung

Für mich persönlich hört der Spaß dann auf, wenn von dezentem oder unterstützendem Holzeinsatz und sortentypischen Aromen zu lesen ist, um dann beim Verkosten feststellen zu müssen, dass Geschriebenes und tatsächliche Wahrnehmung wenig bis gar nicht übereinstimmen.

Sorry, aber in so einem Fall fragt mich mein Weinverständnis unverblümt: "Ich darf mir jetzt eh ein wenig verarscht vorkommen?" Anlass zu dieser verbal entglittenen, aber durchaus berechtigte Frage, gab ein 2015-er Weißburgunder.

Anmerkung: Der Wein wurde vorerst verdeckt verkostet, erst danach wurden die Ausführungen am Etikett aufgedeckt.

Beim ersten Anschnuppern waren sich alle einig - Weißburgunder. Nussige Aromen, ziemlich feuersteinig und mineralisch, könnte ein Südburgenländer sein. Anscheinend mit Holzeinsatz, da waren sich auch alle einig.

Um zu wissen, ob wir gute Verkoster oder ahnungslose Dampfplauderer wären, studierten wir, was da am Rückenetikett zu lesen war. Es wurde uns bestätigt, KEINE ahnungslosen Dampfplauderer zu sein.

Zwischenzeitlich hatte der Wein bereits fünf bis sieben Minuten im Glas zugebracht. Jetzt wurde der Nase unverkennbar mitgeteilt, Holz! Die nussigen Aromen verschwanden im Hintergrund und wurden schon bald von holzsaftig, etwas alkohollastig wirkenden Aromen mit exotischen Noten verdrängt.

Am Gaumen dominierte eine Art von Holzfruchtigkeit und auch die angesprochene Alkohollastigkeit wurde geschmacklich bestätigt. Der in den ersten Sekunden wahrgenommene Weißburgunder verwandelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Wein, der so gar nicht dem entsprach, was am Etikett zu lesen war. Der ziemlich kurze Abgang hinterließ einen säurebetonten Eindruck mit merklicher Holzaromatik.

Aber auch dieser Weißburgunder hat mehr als nur eine Chance verdient und wurde daher weitere 6 Tage immer wieder nachverkostet. Aber da hat sich nichts zum Positiven verändert. Weder Alkohol, noch diese "Holzsaftigkeit" wurden halbwegs harmonisch in die Gesamtstruktur eingebunden. Es entwickelte sich eine Art phenolharziger Weingeschmack mit leichter Säurebetonung und kräftigen Holznoten. Trotz vorhandenem Potential wage ich zu bezweifeln, dass sich ein harmonisches Geschmacksmuster mit Burgunderelegance entwickeln wird.



Fazit: Mein Weinverständnis lässt mich wissen, dass es keiner Schlussfolgerung bedarf. Auch gut, dann eben noch ein paar Worte zu den Grundprinzipien einer Verkostung:

  • Um unbefangen und möglichst objektiv zu verkosten, sollten persönliche Verbindungen zu Produzenten außer Acht gelassen werden. 
  • Ebenso sollte es für VerkosterInnen keine Aussagen wie, "schmeckt mir" oder "schmeckt mir nicht" geben. Es kommt viel mehr darauf an ob Sortentypizität und Terroir zur Geltung kommen und einem Wein sein persönlicher Charakter belassen wurde.
  • Was geschrieben und veröffentlicht wird, sollte jede AutorIn, jede VerlegerIn selbst entscheiden.