Sonntag, 5. Juni 2016

Hexerei und Wunder im Weinkeller?


Weinverkostung mit rätselhafter Vorgeschichte


Ich erinnere mich noch ganz genau, so als ob es sich erst vor wenigen Tagen zugetragen hätte, aber es liegt bereits sieben Jahre zurück, als ein befreundeter Wirt seinen Standort wechselte und somit auch den Inhalt seines Weinkellers übersiedeln musste.

Die Übersiedelungsarbeiten wurden jäh unterbrochen, als ein Mitarbeiter  ganz aufgeregt ins Büro stürmte und die Worte, "sie sind weg, spurlos verschwunden", von sich gab. Wir hatten keine Ahnung, wovon dieser gute Mann sprach und wer spurlos verschwunden sein sollte. "Die Italiener und die Spanier", lautete die klärende Antwort. 


Bei diesen Verschwundenen handelte es sich um 18 Flaschen Brunello 2002 von Silvio Nardi und 24 Flaschen Tempranillo Reserva 1999 von Valparaiso. Trotz intensivster Suche blieben die vermissten Weine verschwunden, quasi verschollen bis in alle Ewigkeit. Daran konnten auch die wüstesten Spekulationen und Verdächtigungen nichts ändern, auch nicht die Tatsache, dass sie am Morgen der Übersiedelung noch da waren, abgezählt und in die Standliste eingetragen wurden. Jetzt, zwei Stunden später, waren sie unauffindbar. Alle Beteiligten waren sich einig, diese Weine würden nie wieder auftauchen.

Das Lokal wurde zum vereinbarten Termin an den Hausherren übergeben und blieb danach für immer geschlossen. Vor einigen Monaten wurde das komplette Gebäude verkauft und im Zuge dessen eine Sanierung des gesamten Kellers vorgenommen. Liebe LeserInnen Ihr werdet bereits ahnen, was jetzt kommt. Die Verschollenen tauchten wieder auf, exakt an jener Stelle wo sie sieben Jahre zuvor zum letzten Mal gesehen wurden.

Hexerei, Wunder oder doch nur Schlamperei? Des Rätsels Lösung werden wir wohl nie erfahren. Schade, aber was soll’s, die vermissten Weine waren wieder da und mussten aus den Tiefen des völlig verdreckten Kellers gerettet werden. Leider gab es nicht mehr all zu viel zu retten, denn ein Großteil der Flaschen wurde durch herabfallende Mauerteile zerstört, aber drei Italiener und fünf Spanier überlebten dieses Fiasko.

Die Verkoster waren gespannt zu erfahren was da in ihre Gläser gelangen würde, denn immerhin mussten die Überlebenden ganze sieben Jahre unter den übelsten Bedingungen zubringen. Es war viel zu warm, extrem feucht und die Luftzirkulation ließ auch zu wünschen übrig. Haben diese erbärmlichen Bedingungen den verbliebenen Weinen Schaden zugefügt oder konnten sie sich wider Erwarten doch gut entwickeln?


  • Brunello di Montalcino, Tenute Silvio Nardi DOCG 2002 (Toskana, Italien)

Alle drei Faschen sahen furchtbar aus, was leider auch auf die Optik der Korken zutraf. Sie schienen Opfer einer Rattenplage geworden zu sein. Eine Flasche musste aufgrund extremen Korkgeschmacks entsorgt werden, während die beiden anderen Flaschen offensichtlich keine Schäden erlitten, die sich auf ihren Inhalt auswirken hätten können.

Das mittelkräftige Rubinrot mit orange farbigen Reflexen und die kräftigen Schlieren am Glasrand entsprachen dem, was man sich von einem Brunello nach zwölf Jahren Reifezeit erwarten durfte; noble, gediegene Größe.

Der für einen Sangiovese typische Duft nach Waldbeeren mit Wildkräuternote präsentierte sich komplex und sehr elegant. Ein sehr gut eingebundener Hauch von Zedernholz mit dezenter Vanillesüße verleihen diesem Wein Finesse und Charme.

Ein harmonischer Fruchtkörper mit zarten Tanninen, weicher Gesamtstruktur und dezentem Druck am Gaumen, sorgte bei allen Verkostern für Wohlgefallen.

Der lange Abgang mit Tiefe und Elegance präsentierte sich ebenfalls rund und harmonisch, gut strukturiert und ausgewogen kräftig. Der Nachklang bestätigte die Größe dieses Weins. Den nächsten Schluck einzufordern versteht sich von selbst.

Trotz Trinkreife hat dieser Brunello seinen absoluten Höhepunkt noch nicht erreicht. Es wäre noch genügend Potential für königlichen Trinkgenuss innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre vorhanden, aber wir köpften leider auch unsere zweite und damit letzte Flasche, dieses wirklich ausgezeichneten Brunellos.


  • Valparaiso Reserva 1999, 100% Tempranillo (Ribera del Duero, Spanien)

An den fünf verbliebenen Flaschen dieses Weins schienen die Ratten kein Interesse gehabt zu haben. Zumindest waren keine Bisspuren zu sehen. Wir hatten gleich mit der ersten geöffneten Flasche Glück, kein fehlerhafter Kork. Es konnte also los gehen, siebzehn Jahre Reifezeit, sieben davon unter miserablen Bedingungen. Wir waren gespannt.

Das etwas hellere Granatrot mit bläulich schimmernden Reflexen, entsprach durchaus der Reifezeit. Die beinahe zäh abfließenden Schlieren am Glasrand waren aber beindruckend.

Noch beeindruckender war die Aromastruktur. Wir hätten uns zumindest einen leichten Alterston erwartet. Aber nein, balsamische Noten, Waldbeeren und Süßkirschen umgarnten unsere Nasen, gefolgt von einem Hauch Schokolade mit dezentem Vanilletouch.

Am Gaumen kompakt und noch immer verblüffend dicht. Auch das Tanningerüst hatte ausreichend Kraft um seiner tragenden Rolle gerecht zu werden.

Dem dichten, mittellangem Abgang, mit ziemlich voluminösem Charakter, fehlte es auch nicht an charmanter Finesse. Den Nachklang könnte man mit der Glocke einer kleineren Kapelle vergleichen; nicht mächtig, aber auch nicht zu überhören. Also her mit dem nächsten Kostschluck.

Dieser Wein hat seinen Höhepunkt erreicht und verfügt über hervorragende Trinkreife. Es ist eine wahre Freude diesen Tempranillo zu trinken, aber sein Potential wird bald erschöpft sein, was aber eher egal sein dürfte, denn wer hat von einem 1999-er Valparaiso noch größere Mengen auf Lager?




Fazit: Gute Lagerbedingungen sind wichtig um Weine reifen und nicht altern zu lassen. Aber noch viel wichtiger ist die Weinqualität,  was diese beiden miserabel gelagerten Topweine eindrucksvoll beweisen.




Verkostungsnotizen vom 29.05.2016